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Mobil im Zeichen Luises
Das Projekt „Faktor L“ im Luisenforum fordert eine andere
Ordnung der Dinge
Ein weißer Überseecontainer und eine fensterlose orangefarben
verputzte Gondel blockieren den öffentlichen Raum. Gleich
mehrere Parklücken in der Hermann-Elflein-Straße vor dem Eingang
zum Luisenforum sind versperrt. Wenn am Monatsende die
Ausstellung in der Galerie M ausläuft, verschwinden auch
Container und Gondel wieder im Nichts. Geht Kunst auf die
Straße, ist das ein deutliches Signal: Es ist, wie es Andrea
Böning mit Blick auf ihre Gondel formuliert, „ein Versuch, die
Stadt mit Kultur zu bespielen“. Doch wie so oft verbirgt sich
hinter diesem Spieltrieb bitterer Ernst. In Zeiten, wo
freischaffenden Künstlern droht, Ausstellungs- und Aktionsraum
in der Stadt verlustig zu gehen, macht es Sinn, mitsamt seiner
Kunst auf die Straße zu gehen.
Bei ihrem gemeinsam konzipierten Projekt „Faktor L“ geht es
Andrea Böning, Carsten Hensel und Ilse Winckler indes nicht
primär um Provokation. Als Projektpatin wählten sie die
legendäre Königin Luise. Zwei Jahre vor ihrem frühen Tod hatte
diese in einem Brief an den Vater angesichts der sich
verändernden Weltzustände „eine andere Ordnung der Dinge“
beschworen. Bezug nehmend auf die damals einsetzende
Reformierung der veralteten gesellschaftspolitischen Ordnung
hielt Performancekünstler Carsten Hensel bei der
Ausstellungseröffnung eine „Rede an die Verwaltung“. Auch
ordentlich Porzellan kam dabei zu Bruch. Nach einem Prolog über
die Verstrickungen von Verwaltung, Ordnung und Macht endete der
holprige Weg des sich auf einem Bürostuhl mühsam
voranmanövrierenden Künstlers schließlich auf dem Dach des
Containers. In dessen Innern persifliert der Berliner Jörg Lange
mit seinem Ausstellungsbeitrag „Geld!“ eine chronische
Schieflage in Sachen Kunst und Bares. Auch die Lichtinstallation
„True Lite, 7/36“ von Volkhard Kempter in der gegenüberliegenden
Containerecke lässt sinnbildlich sämtliche Warnlampen blinken
für bessere Existenzbedingungen in der zeitgenössischen Kunst.
Ein paar Schritte weiter über den Hof zieht eine
Rauminstallation der Brandenburger Künstlerin Susken Rosenthal
einem quasi den Boden unter den Füßen weg. Die Künstlerin
intervenierte in einem momentan leer stehenden Raum mit einer
hierfür geschaffenen Arbeit, die sie „nach draußen“ nennt.
Etliche Quadratmeter Holz und Laminat hat sie verlegt, um den
Boden des abgesperrt gehaltenen Innenraums optisch in den
Außenraum zu ziehen. Ein starkes Bild, dessen Botschaft stärkere
Wirkung entfaltet als anprangernde Worte über offenkundige
Missstände. Kaum ein Ort in Potsdam ist derzeit besser geeignet,
solche Themen öffentlich auszuloten als das Luisenforum. Hier
halten sich nach der Aufkündigung laufender Mietverträge,
verbunden mit der Aussicht auf absehbar nicht mehr bezahlbare
Mieten sowohl die Galerie M des Brandenburgischen Verbandes
Bildender Künstlerinnen und Künstler (BVBK) als auch der
benachbarte Brandenburgische Kunstverein Potsdam zum Absprung
bereit. Dass Künstler des BVBK mit dem Projekt „Faktor L“ einen
neuen Vorstoß unternehmen, die Diskussion um den Standortfaktor
Kunst in Potsdam neu zu entfachen, ist nur zu gut verständlich.
Muss die Kunst aus dem Luisenforum weichen, wird der ohnehin
massive Leerstand in diesem offensichtlichen Spekulationsobjekt
noch absurdere Ausmaße annehmen. Spätestens dann würde auch „der
Mann mit dem roten Schal“ alias Buchantiquar Jürgen Trubel von
der Bildfläche verschwinden. Vorausschauend holten die Künstler
den Hüter des Luisenforums an der Schwelle zum „Broadway“ mit
ins Boot.
Es ist ein geballtes Aufgebot kreativer Kräfte, mit dem die drei
Ausstellungsmacher antreten, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Angesprochen sind in gleicher Weise eine kunstinteressierte
Öffentlichkeit als auch die kommunalen Entscheidungsträger mit
Verantwortung für Kunst und Kultur. Damit sich die freie Kunst
in Potsdam entfalten kann, braucht es außer guten Ideen und
kreativem Input gezielte Hilfen und konkrete Räume. Ilse
Winckler begegnet der drohenden Leerstelle im Luisenforum mit
einem experimentellen Ausstellungs- und Arbeitsraum in der
Galerie M. In diesem „Labor Luise“ bietet sich Besuchern die
Gelegenheit, sich einzumischen, mitzureden, mitzugestalten. Ein
Arbeitstisch mit Papier, Scheren, Kleber, Kohlepapier und
Filzstiften steht hierfür bereit. Wer will, kann sich auf der
Basis eines Fotokopien-Kompendiums reproduzierter Originale sein
eigenes Luise-Bild zimmern oder inspiriert vom Luise-Briefzitat,
eigene Vorschläge zu einer anderen Ordnung der Dinge entwickeln.
„Labor Luise verkauft und kauft“ ist an einem Aushang in dicken
Lettern zu lesen. Zum Preis von 50 Cent pro Seite kann man
Kopien erstellen oder selbst produzierte Blätter veräußern und
in die Ausstellung integrieren. Lust und Mut zur eigenen
Kreativität möchte die von Ilse Winckler gestaltete
Wandausstellung beflügeln: Reproduzierte Arbeiten von 35
Künstlern aus Berlin und Brandenburg laden ein zur Interaktion.
Den Ball, den alle am „Faktor L“ beteiligten Künstler anbieten,
gilt es nun zurückzuspielen. Inwieweit die Mobilmachung im
Zeichen Luises gelingt, macht das Labor zum Testballon.
Almut Andreae
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